Anna wacht als erste auf und sieht den dichten Nebel vor den Fenstern. Die anderen beiden werden wach. Sie wartet auf die Glückwünsche von Philipp, der noch sehr verschlafen Anton abhält. Dann ist es soweit. Ein Kuss. Viele schöne Worte. Noch ein Kuss. Sie treten aus ihren Bus und ihnen peitscht ein kalter Wind und Nieselregen in ihre Gesichter. Es ist ein kraus. Sie fahren erst mal vor zurück zur Straße, wo Philipp Anton in den Schlaf schuckelt. Während dessen schießt Anna ein paar Fotos. Sie wird von einem Mann, der an dem alten großen verlassenen Haus – wahrscheinlich war es mal ein Hotel – steht, gerufen. Sie sieht, dass er auf etwas zeigt. Von dieser Distanz kann sie aber nicht erkennen was es ist. Neugierig läuft sie hin. Neben dem Alten liegt ein totes Schaf. Eines der Beine wurde abgeschnitten. Anna kann das Blut noch tropfen sehen. Der Mann sieht verrückt aus. Er kommt ihr mit einem langen spitzen Messer in der Hand entgegen. Annas Skepsis wird größer und irgendwie bekommt sie auch Angst vor diesem breit grinsenden Alten dessen Gesicht von tiefen Falten zerfurcht ist. Anna macht ein paar Schritte zurück. Er kommt näher. Höflich verabschiedet sich und legt schon mal den Rückwärtsgang ein. Al sie sich umdreht und hört sie ihn noch nach Zigaretten fragen. Sie verneint und geht schnell zurück zu Philipp. „Hast du ein Portrait von ihm gemacht?“, fragt er. „Neee. Der kam mit nem Messer auf mich. Da hab ich Angst bekommen.“, reagiert sie etwas aufgelöst und mitgenommen.

„Mir ist kalt. Lass uns fahren.“, sagt Philipp, der sich am Steuer sitzend vor Kälte schüttelt. Anna steigt ins Auto und los geht’s mit quietschenden Reifen. Naja, nicht ganz. Lange brauchen sie nicht bis sie in Stepantsminda, der Ausgangsort für den Kazbegi National Park, ankommen. Unterwegs sehen sie nicht viel von der Landschaft, denn alles versteckt sich hinter den Wolken. Als sie ankommen wird Anton gerade wach, sie parken ihr Auto bewusst in der Sonne und gehen erst mal mit langen Hosen, Pulli und Mütze in das nächste Café. Langsam wird es wärmer. Ein Blick auf den Online Wetterbericht zeigt Gewitter und Regen für die nächsten drei Tage. „Ok. Lass uns zurückfahren!“, ist Annas erste völlig entmutigte Reaktion. Bevor sie solchen fixen Ideen nachgehen, machen sie erst mal einen Spaziergang durch die touristisch geprägte Ortschaft. Sie hören verschiedene Sprachen, Menschen wuseln orientierungslos über die Straßen, an kleinen Bushaltestellen warten viele Menschen auf einen der Ford Tranzit Busse, die zwischen Tbilisi und hier pendeln, 4×4 Taxis reihen sich aneinander, die Taxifahrer quatschen vorbeilaufende Leute von der Seite an „Taxi, taxi?“, und in den Restaurants und Cafés sprechen die KellnerInnen Englisch. Wenig später, nach dem Spaziergang, schlägt Anna vor noch an diesem Nachmittag die Wanderung zur Gergeti Trinity Church zu machen. Philipp hält das für eine Schnapsidee und bringt sie davon ab. Sowie Annas Vorschläge wechseln, schwangt Philipps Stimmung. Bevor sie weitere Entscheidungen treffen, gehen sie noch eine Kleinigkeit essen. Philipps Stimmung hebt das leider nicht.

Nach dem Mahl entscheiden sie sich zum Anfang der Wanderung zu fahren um sich ein Bild von dem Standort zu machen. Vielleicht können sie dort schlafen, vielleicht ist das Wetter am nächsten Tag gar nicht so schlecht und vielleicht können sie von der Kirche aus den Kazbegi sehen. Es wäre ein tolles Geburtstagsgeschenk für Anna. Die Navigation bringt sie in den oberen Teil des Dorfes Gergeti zu einem Parkplatz hinter einem Café, wo sie auch übernachten dürfen. Sie stellen das Auto ab und wollen draußen eine Runde drehen. „Wo ist Antons Sonnenhut?“, fragt Anna wie so oft. Philipp weiß es nicht. Sie lassen ihren Aufenthalt in Stepantsminda Revue passieren. So wie es aussieht hat Philipp die Mütze im Restaurant, wo sie eine Kleinigkeit gegessen hatten, vergessen. Sie fahren nochmal dorthin und Anna findet die Mütze zwischen zwei Stühlen auf dem Boden liegen.

Als sie zurück am Parkplatz sind, steht die Sonne schon tief und Wolken ziehen durchs Tal über Stepantsminda hinüber. Anna klettert auf den Bus und macht Bilder. „Lass uns doch mit der Drohne fliegen!“, ruft Philipp ihr zu. Bssshh. Bssshh. Die Drohne startet, verlässt den Boden und steigt in die Höhe bis Mensch sie nicht mehr hört. Während Philipp die Drohne fliegt, hat Anna Anton auf dem Arm und sagt ihm wann er ein Foto machen soll. Er dreht die Drohne für einen Rundumblick und da sehen sie die Kirche von Gergeti. „Dahinter muss der Kazbegi liegen!“, sagt Anna. Sie sind hellauf begeistert obwohl die Wolken so tief hängen. Philipps Stimmung steigt und bleibt für den restlichen Tag im oberen Drittel der Stimmungskurve.

Am Abend regnet es. Dann fallen Hagelkörner herab. Es gewittert, donnert, kracht und blitzt. Was für ein Geburtstag, denkt sich Anna. Ein Tag voller Höhen und Tiefen.