Am Morgen geht der elendige Kampf mit den ausgeschlafenen Fliegen weiter. Sie hatten wohl eine angenehme Nacht im Bus und sind nun sehr aktive Zeitgenossen mit denen sich die kleine Familie wie schon am Abend zuvor abgeben muss. Lästig. Sie lassen sich nicht all zu viel Zeit und starten ihre Tour nach Khal Khal mit einem kurzen Abstecher in das Lehmhütten-Dorf. Sie sehen Frauen, die in bunte Kleider und Kopftücher gehüllt sind, Jungs, die am Wegesrand laufen, Müll, der sich am Rande des Dorfes verteilt hat und sich in den Schlammpfützen sammelt, sowie viele Kuhfladen, die an der frischen Luft getrocknet werden.
Sie drehen um und fahren erneut auf die Autobahn, von der sie Kamele sehen, die in einem sandigen Flussbett großen Schrittes aber gemächlich laufen. „Kamele! Toll!“, denkt sich Anna. Nach wenigen Kilometern auf der Autobahn biegen sie auf eine kleinere Straße ab. Landschaftlich tut sich nicht so viel. Dafür fahren sie durch sehr viele Tunnel, die Anton mit Begeisterung miterlebt. 30 Kilometer vor Khal Khal halten sie an, kaufen Tomaten, Gurken und Paprika quasi direkt vom Feld, essen und spielen mit Anton. Sie fühlen sich müde vom Fahren und den weiten Wegen, die sie seit ihrer letzten längeren Pause in Armenien, zurückgelegt haben und das drückt die Stimmung enorm. Sie kommen in Khal Khal, eine überraschend große Stadt, an. Anna geht einkaufen. Abgesehen von der vielfältigen Auswahl an Obst, ist die Auswahl an Gemüse eher mau. Sie findet nur Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch und Möhrchen.
Anton ist wach und etwas maulig. Anna nimmt ihn auf den Arm und läuft mit ihm die Straße rauf und runter. Zwei Frauen stehen vor ihrem Haus und beobachten das Geschehen neugierig. Anton, der mindestens genauso neugierig ist, streckt die Arme nach ihnen aus. Das ist der Startschuss für Tee, Melone und eine Fotoreihe mit Anton. Anna und Anton werden in das Haus gebeten, Philipp wird später vom Papa der Familie dazu geholt. Er war aber eigentlich ganz froh mal allein auf dem Bett liegen zu können. Sie verbringen den Nachmittag bei der Familie und werden mit viel Freude, sowie zahlreichen Übernachtungs- und Essensangeboten überschüttet. Das Spiel des Ablehnens, Erklärens und Bedankens nimmt seinen Lauf. Sie schaffen es die sehr liebenswerte Familie davon zu überzeugen, dass sie weiter nach Masuleh fahren. Als sie erzählen, dass sie auch nach Rascht wollen, wird der Onkel sofort angerufen, denn der lebt in Kanada, ist aber gerade in Rascht. Philipp telefoniert mit ihm. Zu guter Letzt werden Telefonnummern – daran kommt Anna nicht vorbei – und der Bus inspiziert. Anna schenkt den beiden Frauen eine kräftige und herzliche Umarmung und weiter geht die Fahrt. Kurz bevor sie Khal Khal verlassen, winkt sie die Polizei heraus. Zwei junge Männer kommen ans Fenster und sagen laut „Passport“. „Pssssst“, machen Philipp und Anna, denn Anton schläft und soll nicht aufwachen. „Pssssst“, wiederholen sie es als die beiden Polizisten in der gleichen Lautstärke weiterreden. Sie begreifen es. Sie fragen nach der Herkunft und versuchen die Nachnamen aussprechen. Philipp reichts. „Is it urgent or just for fun?“ kommt es genervt aus ihm herausgeschossen. Sie entlassen sie mit den Worten „Welcome to Iran“ und wünschen ihnen eine gute Reise.
Die Straße nach Masuleh – ihr neues Ziel für diesen Tag – wird zunehmend schmaler und unbefahrener. Es geht bergauf, bergab und kurvig um die Hügel. Die letzten Kilometer über den Berg sind noch nicht asphaltiert, auch der Teil hinunter nach Masuleh ist so wie es schon immer war: steinig, mit tiefen vom Wasser geformten Rillen zerfurcht, löchrig und teilweise schlammig. Als sie den Berg überwunden haben, geht die Sonne unter und schnell ist es dunkel. Auf der anderen Seite regnet es und anstatt gelb und braun, dunkelgrün. Eine komplett andere Welt tut sich auf: dunkelgrüner Wald, wassergesättigte Luft und feuchtwarmes Klima. Sie halten vor Masuleh und parken – wie sehr viele andere Autos – am Straßenrand, kochen, essen und gehen ohne viel Tamtam schlafen.