„Unser rechter Reifen hier hinten hat zu wenig Luft“, sagt Philipp, der gerade mit Anton etwas draußen rumläuft. Es regnet nicht mehr und die Sonne scheint. Schon mal gut. „Anna, wir haben hier vorne gar keine Luft mehr drauf“, sagt er als nächstes. Anna glaubt, dass er scherzt und nimmt es nicht ernst. „Echt? Ist doch Quatsch!“. Sie geht um das Auto herum. „Scheiße!“. Ja sie haben einen Platten. Sie können froh sein, dass das nicht gestern im dunklen mitten auf der Strecke passiert ist. Der Spaziergang in Masuleh muss verlegt werden, jetzt muss erst mal ein Reifen gewechselt werden. Schöne Kacke.
Anton verbringt die nächsten zwei Stunden auf Annas Armen. Die dicke Wurst fühlt sich mit jeder Minute schwerer an. Philipp ackert sich am Reifen ab. Den Wagenheber hat er schnell gefunden, der neue Reifen liegt griff bereit neben dem Auto, auch das heben des Autos klappt, nur der Reife löst sich nicht. Rost. Überall Rost. Es tut sich nichts. „Und nun?“, fragt Philipp ratlos. Die Iraner fahren an ihnen vorbei und klotzen durch ihre Fensterscheiben aber keiner fragt ob sie Hilfe brauchen. „Wir halten den nächsten LKW an und fragen nach Öl oder wir gehen ins Dorf und holen Hilfe“, ist Annas Antwort auf Philipps Frage.
Zwei Polizisten auf einem Motorrad sehen sie und halten an. Es geht los. Es wird geruckelt und gedrehten. Nichts. Der Reifen bewegt sich keinen Millimeter. Ein LKW-Fahrer wird angehalten. Er holt erst mal einen hydraulischen Wagenheber. Philipp versucht den Männern – inzwischen hat sich die Gruppe der Helfer um zwei weitere Männer vergrößert – klar zu machen, dass ein Spritzer Öl hilfreich wäre. Keiner versteht es. Sie schlagen mit einem gigantischen Hammer auf das Rad ein, hämmern mit einer Eisenstange auf den Reifen, drehten, stehen diskutierend und schließlich ratlos da. Der LKW-Fahrer bringt Öl und verteilt es um die Schrauben. Nochmal drehten, rütteln, hämmern. Nichts. Einige Männer fahren wieder. Die Polizisten und ein älterer Mann bleiben. Der nächste LKW-Fahrer kommt und wird angehalten. Ein schick gekleideter Mann in blauer Anzughose und blauviolett karierten Hemd steigt aus. Er sieht das Problem und handelt zügig. Der Reifen wird diesmal in die andere Richtung eingeschlagen, nochmal ordentlich mit der Eisenstange drauf gekloppt und der Reife ploppt heraus. Erleichterung. Der LKW-Fahrer bringt noch zackig den Ersatzreifen an, verabschiedet sich und ist weg. Auch die Polizisten machen sich schnell aber höflich vom Acker.
Was für ein Vormittag! Irgendwann musste es ja passieren. Sie machen sich auf in die Ortschaft Masuleh. Sie spazieren, kaufen neue Regenschirme, die dem malaysischen Regenschirm von Anna sehr gerecht werden, naschen Sesamsüßigkeiten, lassen sich fotografieren und anquatschen: „Welcome to Iran“, „Oh he is so beautiful“, “Oh he is so cute”, “Can I take a foto?”, “Where are you from?” prallt es ihnen entgegen. Es ist ein Rausch.
Sie verlassen Masuleh und fahren weiter nach Rascht um dort ihren Reifen flicken zu lassen. Das funktioniert auch, nur rutschen sie mitten in den Berufsverkehr hinein. Es ist voll. Überall Autos, die sich in jede Lücke drücken, ihnen die Vorfahrt nehmen, bei Rot fahren, drängeln und hupen. Spontan entscheiden sie weiter an die Küste zu fahren. Leider wird es nicht viel leerer. Die Ortschaften gehen in einander über, Geschwindigkeitsschwellen, die es zu Hauf und an den ungünstigsten Stellen gibt, häufen sich, die Sonne geht unter und die Küste ist noch lange nicht in Sicht. Sie biegen von der Hauptstraße ab, parken in der Nähe eines Restaurants und gehen spontan essen. Es ist eine super Idee. Sie sitzen auf einem Teppich, auf dem Anton krabbeln und sich austoppen kann während Anna und Philipp ihr erstes persischen Gericht verspeisen. Die Kellner sind sehr nett, hilfreich und rufen jedes Mal beim Vorbeigehen „Antoni“. Nachdem Essen werden sie von einer Gruppe Männer angesprochen. Der übliche Gesprächsverlauf wird abgespielt. Einer der Männer hat einen Cousine in Deutschland, den er sofort anruft und Philipp das Telefon in die Hand drückt. Sie wechseln ein paar Worte auf Deutsch und das Telefon wird zurück gereicht. Sie fahren ab. Ein paar hundert Meter halten sie neben der Einfahrt eines Hauses. Ein Mann beobachtet sie. Anna geht hin und fragt ob sie hier übernachten dürfen. Sie sollen vor seinem Laden parken. Er holt eine Säge und sägt einige der zu niedrig hängenden Palmwedel ab damit der Bus von Anna und Philipp in die Parklücke hineinpasst. Anna verneint vehement, dass das nicht nötig ist aber sie hat keine Chance. Die Palmwedel sind ab. Sie parken und gehen schlafen.