Die Kopfschmerzen sind weniger stark. Und auch die Müdigkeit ist weniger dominant. Ihre Augen fühlen sich wieder etwas wacher und größer an als noch in Potosí. Die 400 Höhenmeter, die sie die letzten Stunden mit dem Bus überwunden haben, machen sich bereits während der Fahrt bemerkbar. Aber wer weiß. Vielleicht ist es auch die Vorfreude auf den größten Salzsee der Erde, die mitschwingt. Oder vielleicht waren es auch die vielen Llamas, die sie auf der grasbewachsenen Ebene oberhalb der Cordillera gesehen haben, welche ihnen ein besseres Gefühl verliehen haben. Erst der nächste Morgen wird entscheiden ob sie den Salar de Uyuni besichtigen werden.

Der Bus hält und sie treten ein in eine trostlose staubige Welt. Als Anna sich die Kraxe auf den Rücken hebt, fallen ihre kostbaren Cranberries und Cashewkerne aus der Brotbox und liegen gut verteilt auf der verdreckten Straße. Anton will sie sofort aufsammeln, aber es gibt keine Chance einer Rettung. Die Cashewkerne verschmelzen augenblicklich mit dem beigefarbigen Sand und die Cranberries sind direkt eingestaubt und verlieren ihren auffälligen Rotton. Anna ärgert sich, Anton ist traurig und Philipp drängelt. Er möchte losgehen. Anton wird noch bis zum Ende der Reise von diesem tragischen Moment, in welchem er seinen geliebten Snack zurücklassen musste, erzählen.

Nachdem sie sich gesammelt haben, treffen ihre Blicke auf eine brauntönige Stadt mit grau gepflasterten Straßen und ausgefahrenen Sandpisten. Die Sonne knallt auf ihre Köpfe und schattige Plätze fehlen. Sie kneifen ihre Augen zusammen und machen sich schnurstracks auf den Weg zum Hotel, welches sie im Vorfeld gebucht hatten. „Hier müsste es sein“, sagt Philipp während er etwas ratlos über die Straßen schaut. Anna ist erschöpft und hat wenig Lust auf eine längere Suche nach dem Hotel. Auf Philipps Vorschlag, gehen sie um die Ecke und finden es tatsächlich nach einigen Metern. Das Hotel ist von außen sehr unscheinbar – nur ein verblasenes Schild weist darauf hin – aber von Innen ist es groß und offen gestaltet. Das wichtigste für alle jedoch ist jetzt ein reichliches Abendessen. Ihre Mägen sind leer und sie haben alle großen Appetite. Im hoteleigenen Restaurant gibt es Pizza – auch einige vegetarische Varianten, Nudeln mit Nuss-Pesto, Salate, eine hauseigene Limonade und noch weitere nicht-bolivianische Spezialitäten. Sie sitzen in einem Restaurant mit nordamerikanischem Flair und halten eine Speisekarte, welche extra an die Gewohnheiten westlicher Touristen angepasst wurde, in der Hand. Dazu kommen noch die exorbitanten Preise, die sie gedanklich plötzlich zurück nach Europa bringen. Egal. Sie schlagen zu. Hohe Preise hin oder her.

Am Morgen wacht Anna ohne Kopfschmerzen, mit Appetit und relativ fit auf. Die Übelkeit zeigt sich zwar recht schnell, kann aber mit einem sehr vielfältigen Frühstück im Hotel besänftigt werden. Es kann also losgehen. Der langersehnte Traum den Salar de Uyuni zu sehen wird in Erfüllung gehen.   

Ausgestattet mit Sonnenhüten, Sonnenbrillen, Wasser und Sonnencreme fahren sie Richtung Salzsee. Es hat die letzten Tage geregnet, das heißt der See wird ein gigantischer Spiegel sein. Anna sitzt im Auto und denkt an die Bilder, die sie damals vor 11 Jahren vom Salar de Uyuni gesehen hat und erinnert sich an die Worte des jungen Mannes aus Israel „It is the most beautiful site I have ever seen“. Inzwischen hat sie das Gleiche von anderen Freunden und Bekannten gehört. Das sie nun dieses beeindruckende Naturschauspiel mit ihren eigenen Augen sehen darf, erfüllt sie mit einem andauerndem kribbeln im Bauch. „Ich bin so glücklich“, sagt sie mit feuchten Augen zu Philipp, der das Ausmaß wahrscheinlich kaum begreift. Sie lächelt.

Am Ende des Tages sind alle erschöpft. Auch wenn es etwas windig war, Anton sich den halben Tag gewehrt hat, die Sonnenbrille aufzusetzen, war es ein hervorragendes und atemberaubendes Erlebnis – einmalig und besonders.