Die Sonne bricht durch die Wolkendecke, der Horizont leuchtet orange, obwohl die Sonne noch recht hochsteht, und Tropea erscheint am Horizont. Gebaut auf senkrechten Felswänden. Die Hauswände schließen mit der Felskante ab. Vor den steilen Felswänden schlängeln sich Kieselsteinstrände die kurvige Küste entlang. Hellblau, türkis und azurblau leuchtet das Wasser, welches selbst bei einer Tiefe von 20 Meter den Blick bis zum Meeresgrund zulässt. Meine Augen sind groß und werden immer größer je weiter wir uns Tropea nähern. Ich spüre, dass es mir hier gefällt.
Wir parken auf einem Parkplatz am Rand der Stadt. Am gleichen Abend kommen Nima und Nicole an. Es ist schön die beiden wiederzusehen. Anton und Nima fangen direkt anzuspielen und wieder einmal fahren die Spielzeugautos über Terrassen, über herumliegenden Boote, über Wege und Mauern.

Wir wollen den Standort wechseln, da der Wäscheberg sich inzwischen über alles legt und wir gerne eine Toilette in der Nähe hätten. Es sind jedoch alle Campingplätze zu. Am Vormittag machen wir einen Ausflug in das Stadtzentrum. Wir gehen am Strand entlang bis wir an eine steile Treppe kommen, die wir hinaufsteigen. Von einer Terrasse blicken wir auf das türkisblaue Meer, die vorgelagerte Insel, den Vulkan Stromboli und auf einen Parkplatz, auf dem zwei Wohnmobile stehen. Wir spazieren durch die engen Gassen, werden von vielen Menschen lächelnd gegrüßt und essen Pizza in einem kleinen Restaurant.
Am nächsten Tag fahren wir zum Parkplatz, den wir von oben gesehen hatten. Wir fahren durch das Tor, ein Mann begrüßt uns und sagt, dass wir parken können und dafür 15 Euro pro Nacht zahlen müssen. Bevor wir uns bedanken, sagt er plötzlich „But you can’t leave. Tomorrow is lockdown in Calabria“, ohne den Ernst der Lage zu erkennen, sagt Philipp einfach „No problem. We stay anyway“. Ich bin stattdessen überrascht und hetze nach vorne, schaue den Mann entgeistert an und frage nach was Lockdown bedeute. Er sagt, dass alles geschlossen ist und keiner raus darf außer zum Einkaufen und für Arztbesuche.


Der letzte Tag ohne Lockdown geht langsam dem Ende zu. Nima und Nicole essen mit uns im Bus, Anton spielt unbeholfen ohne Pause, ich stille Merle und beschäftige sie mit Geräuschen, die ich mit meinem Mund erzeuge, parallel höre ich bei Philipp und Nicoles Gespräch zu, zwischendurch erwähnt Philipp, dass irgendwas stinkt, aber alle machen weiter wie gehabt. Beim Essen rieche ich es auch. Plötzlich kommt mir der Gedanke, was es sein könnte. „Anton, musst du mal auf die Toilette?“, frage ich ihn vorsichtig. Denn ich ahne es bereits. Er verneint. Richtig. Er muss nicht mehr, da die Kackwurst im Schlüpfer gelandet ist. Ich ziehe Anton angewidert aus und schleppe ihn nackig zur Dusche. Er ist ruhig, seine Augen weit aufgerissen und sein kleiner Körper angespannt. Er hört sich mein Gebrabbel an und sagt zu allem „ja“. Ihm ist es sichtlich unangenehm. Zurück im Bus, mit frischer und sauberer Kleidung ausgestattet, spielt er unbesorgt weiter. Der Abend endet mit vielen Fragen wie wir die nächsten Tage verbringen werden, was wir machen dürfen und ob wir uns weiterhin wohl fühlen.
Wir informieren uns über die aktuelle Situation in Italien: Kalabrien ist eines von vier Landesteilen welches in den Lockdown geschickt wird. Wir wundern uns denn in Kalabrien sind die Infektionszahlen am geringsten. Aber die Krankenhäuser sind so schlecht ausgestattet, dass selbst geringe Infektionszahlen als Bedrohung wahrgenommen werden und zu Überlastung der Krankenhäuser führen könnten. Wenig Tage nach Beginn des Lockdowns ist dann auch Kalabrien Risikogebiet für Deutschland. Die Deutschen, die neben uns standen, fahren zurück nach Deutschland um in Deutschland nicht in Quarantäne zu müssen. Wir bleiben, so auch Norbert, ein älterer Mann, der ebenfalls die letzten warmen Tage hier in Tropea verbringt.


Der Lockdown fordert uns wenig Umstellung ab, aber das liegt wohl auch daran, dass wir uns frei auf dem Parkplatz bewegen dürfen und zum anderen viele TropeanerInnen den strengen Auflagen ihrer Regierung wenig streng folgen. Ab und zu kommt die Polizei, und wenn die PolizistInnen durch ihre Trillerpfeifen pfeifen löst sich die Menschenansammlung zwar sehr langsam und träge auf aber kommt später zu einem anderen Zeitpunkt wieder zusammen. Die Menschen gehen spazieren, machen Sport, gehen schwimmen, liegen am Strand, treffen sich zum Karten spielen und debattieren. Trotz Lockdown ist die Stadt nicht leer, trotz Lockdown fühlen wir uns wohl, weil wir uns da aufhalten wo wenig Menschen sind und wo wir nicht zwangsläufig eine Maske tragen müssen.
Es ist eher Anton, der uns zu schaffen macht. Wir hatten beide schon Situationen, in denen wir uns hemmungslos und unkontrolliert über Antons Verhalten aufgeregt haben, nicht in seiner Anwesenheit und wohl wissend, dass er mitten in den Autonomiephasen steckt. Aber ich muss auch mal Dampf ablassen, ohne auf meine Wortwahl zu achten. Ich bin manchmal so angespannt und gereizt, dass ich weggehen muss und etwas durch die Luft schmeiße. Manchmal raufe ich mir Haare oder stampfe mit den Beinen.


Seit der Abfahrt von Nima und Nicole weigert er sich mittags zu schlafen. Sein Mittagsschlaf ist auch für uns eine Pause, und die soll nun wegfallen? Wir sind uns einig, dass wir ihn nicht zwingen werden, aber wissen auch, dass er den Schlaf brauch. Ohne Mittagsschlaf fällt ein wichtiger Abschnitt unseres Tages weg. Ohne Mittagsschlaf fängt Anton an sich ab 14 Uhr die Augen zu reiben. Manchmal kommt er klar, manchmal möchte er nur auf dem Arm sein, manchmal taumelt er wie betrunken über den Parkplatz, manchmal schaut er benebelt und abwesend in die Weltgeschichte. Und manchmal ist es recht lustig mit anzusehen, aber häufiger ist gleicht es eher einer familiären Kraftanstrengung (dieses Wort schwirrt mir seiner geraumer Zeit im Kopf herum) den Tag einigermaßen über die Runden zu bekommen.
Nichts desto trotz, lassen wir ihn gewähren, ziehen uns aber für eine gewisse Zeit zurück, versuchen uns nach dem Mittagessen auszuruhen, bereiten das Abendessen früher zu, so dass er wenigsten noch etwas zu sich nimmt, bevor er auf meinen Beinen oder neben dem Essen einschläft. „Ich ruhe mich hier kurz aus“, sagt er, legt sich hin und schläft ein, kurz nachdem die Uhr 18 Uhr zeigt. Merle schläft meistens kurz danach ein. Und plötzlich haben viel Zeit am Abend gewonnen aber oft einen anstrengenden Nachmittag mit einem müden Anton. Falls ihn die Müdigkeit doch zu Boden ringt und übermannt, schläft er in der Hängematte, wo er am liebsten auch die ganze Nacht verbringen möchte, ein.

Der letzte Abend bricht an. Es regnet. Große Tropfen prasseln auf das Dach. „Irgendwie romantisch“, sage ich während ich in Philipps Armen liege, dem Regen zu höre und aus dem Fenster schaue. Ich fühle seine Wärme und seinen Atem auf meiner Haut. Liebe liegt in der Luft. Aufräumen, packen, duschen, einen letzten Cappuccino für mich, ein letzter Blick auf das Meer und weg sind wir.

Tag 2
Ein Tag am Strand von Tropea inklusive einem Spaziergang hoch auf die Aussichtsplattform von Santuario di Santa Maria und Entdeckungstouren entland der Felsen.

Tag 3
Ein Ausflug zum Fischerhafen und Segelhafen von Tropea. Und von dort aus nimmst du ein Boot zum Vulkan Stromboli.