Wir leben und arbeiten im Wohnmobil. Was zur Hölle aber ist Vanlife?

Juli, 2021
Was ist Vanlife - eine Infografik

Was ist Vanlife?

Vanlife ist eine neue Form des Lebens: du lebst, reist und arbeitest in einem Wohnmobil. Foster Huntington hat es vor und bekannt gemacht. Er ist in einen Van gezogen, um sich dem täglichen Alltagsstrapazen zu entziehen und als digitaler Nomade zu leben. Und mit Internet, was fast überall verfügbar ist, und dem etablierten digitalen Leben, ist es auch möglich online Geld zu verdienen. Du lebst on the road und arbeitest während du reist.

Vanlife ist Kultur, Lifestyle und Community, Minimalismus und Mobilität. Vanlife ist ein Ausweg und eine Bewegung. Und in den Sozialen Medien wird es mit dem Hashtag #vanlife dokumentiert. Menschen erzählen in Bildern und Texten vom Vanlife mit ihren Hunden und fotografieren ihre Camper, die an steilen Küstenstreifen, mitten in den Bergen oder unter hohen Bäumen geparkt sind. Vanlife wird digital gelebt – romantisches Lagerfeuer auf dem Camping Platz war gestern – und Gleichgesinnte finden sich über digitale Plattformen. Soo verrückt und doch Teil unserer heutigen Welt! Der Camper Van ist dein zu Hause und home is where you park it. Vanlife ist mehr als Urlaub, mehr als Camping aber Reisen und Camping gehören dazu.

Du willst das auch? Ich sage dir was du dafür brauchst.

Was brauchst du für Vanlife?

  1. # 01 | Ein Wohnmobil

Ein fertiges Wohnmobil wie es die Rentner gerne fahren, eines dieser Monster Wohnmobile, mit denen Leute durch die Wüsten der Welt fahren, ein Kastenwagen oder einen hippen VW-Bus. Alles geht. Hauptsache es passt zu dir, deinen Bedürfnissen und deinem Budget.

Wir leben und arbeiten in einem Kastenwagen (Fiat Ducato L4H2, Baujahr 2016), den haben wir gebraucht bei mobile.de gefunden und selbst ausgebaut, was ungefähr 7 Monate gedauert hat. Nach unserer dreimonatigen Italien Reise haben wir jedoch noch einige Dinge verbessert und nachgerüstet. Der Kastenwagen ist knapp unter 6 Meter lang und hat Stehhöhe – Philipp ist 1,83 m lang. Für unsere Bedürfnisse reicht dieses Modell von Fiat völlig aus. Du wunderst dich? Ja, du erinnerst dich richtig wir sind zu viert und teilen uns 10 qm.

Wir schlafen alle in einem Bett, haben Drehbare Sitze, eine Sitzbank, einen klappbaren Tisch, eine Solaranlage auf dem Dach, eine Marquise, eine Küche, eine Spielhöhle und Stauraum unterm Bett. Wieso haben wir uns für diesen Kastenwagen für unser Vanlife Projekt entschieden? Diese Größe ist nicht zu klein und nicht zu groß. Wir können damit in Städten herumgurken. Passen durch enge Straßen, finden damit einen Parkplatz und zahlen PKW-Tarife auf Fähren: Wir finden das ist ein perfekter Camper für eine Familie mit Baby und Kleinkind.

 

  1. # 02 | Time off

Wie schaufelst du dir nun Zeit dafür frei? Du kannst ein Sabbatical nehmen. Du hast ein Baby? Dann kannst du in Elternzeit gehen und das bis zu drei Jahre. Das erste Jahr davon bekommst du Elterngeld, das reicht dir und deiner Familie wahrscheinlich nur wenn du eure Wohnung, euer WG-Zimmer oder Haus untervermietest. Menschen, die in Deutschland leben, haben das Glück, dass sie Elterngeld beziehen dürfen. Deutschland klopft sich dafür auf die Schulter. Unnötigerweise. Denn das Elterngeld ist an das Einkommen gekoppelt: du hast wenig verdient also erhältst du wenig Elterngeld; du hast viel verdient also bekommst du mehr. Ein gleich hoher Betrag für alle, völlig unabhängig von Einkommen, würde den Familien und Kindern zu Gunsten kommen. Und dann bitte auch ein Geldbetrag von dem Familien leben können. Aber so weit ist Deutschland noch nicht. Ein anderer Weg sieht so aus: Du kündigst deinen Job, wirst selbstständig und verkaufst dein Zeug. Bam! Auch das machen Menschen.

Wir haben mit einem Jahr Elternzeit angefangen – ich hatte zwei Monate und Philipp 12.  Danach haben wir fast zwei Jahre in Deutschland gelebt und sind dann wieder in Elternzeit gegangen: Gleiches Schema wie bei Anton. Außer das wir auf drei Jahre verlängert haben. Und nun haben wir uns entschieden auszusteigen und uns abzumelden: Wohnmobil statt Wohnung. Dauerhaft oder bis wir kein Bock mehr haben.

 

  1. # 03 | Ortsunabhängiges Einkommen

Du willst nicht an deine Ersparnisse ran. Oder deine Arbeit stresst dich und macht dir kaum noch Spaß. Vielleicht möchtest du auch einfach nur weniger arbeiten. Dann ist ein skalierbares ortsunabhängiges Einkommen das richtige für dich.

Wir verdienen unser Geld online: Philipp gibt Webinare, produziert Videos für Online-Kurse und hilft bei der Weiterentwicklung des Coaching-Programms. Ich schreibe, fotografiere, designe und berate. Unsere Arbeitszeiten können wir flexibel gestalten. Wir sind nicht darauf angewiesen 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Es gibt viele verschiedene Dinge, die du ortsunabhängig anbieten kannst.

Es geht auch anders. Du kannst ein Unternehmen aufbauen, was du von überall aus managen kannst. Du bist der Chef oder die Chefin, behältst alles im Überblick und verteilst die Arbeit an dein Team. Vielleicht kannst du besonders gut Smoothies machen und diese auf Festivals verkaufen. Du bist kreativ und handwerklich geschickt: Dann kannst vielleicht aus Muscheln und Steinen Schmuck herstellen, den du vor deinem Camper Van verkaufst. All diese Varianten haben wir auf unserer Reise durch Portugal kennengelernt.

 

  1. # 04 | geringere Ausgaben

Wenn du deine Ausgaben reduzierst, kannst du weniger arbeiten und trotzdem ein angenehmes Leben führen. Wie kannst du Geld sparen? Du kannst deine Wohnung, dein WG-Zimmer oder dein Haus untervermieten oder ganz ausziehen. Wenn Dinge kaputt gehen, kannst du sie reparieren. Auch bei Windeln kannst du Geld sparen: Du benutzt Wegwerfwindeln, dann kannst du auf Stoffwindeln wechseln. So kannst du deine Ausgaben wirklich stark reduzieren. Wenn du insgesamt weniger konsumierst, gibst du im Monat weniger Geld aus: Du kannst deine Abos – Netflix und Co – kündigen, weniger rauchen, weniger Alkohol trinken, weniger Essen gehen und mehr selbst kochen. Und wenn du unterwegs bist, kannst du wild stehen, bei Farmen anfragen oder bei workaway mitmachen.

Vanlife Familie

Familie und Vanlife, geht das? Kann man mit Baby und Kleinkind in einem Wohnmobil leben?

Ja, klar. Das geht. Du kannst mit deiner Familie in einem Camper leben, dauerhaft oder für eine gewisse Zeit. Du bist unterwegs und doch zu Hause. Du kannst auf Überflüssiges verzichten und nichts wird dir fehlen. Du lernst fremdes kennen und fühlst dich vertraut. Wenn es dir nicht gefällt, ziehst du weiter und dein Nest zieht mit. Es ist einfacher als du es glaubst. Am besten ist es wenn du noch mit anderen Familien zusammen an einem Ort stehst.

Wie ist das Leben mit Baby und Kleinkind im Van?

Cool. Alltäglich. Flexibel. Spannend. Neu. Stressig. Anstrengend. Einfach. Lustig. Dreckig. Kompliziert. Spaßig. Und nie Bilderbuch mäßig. Und auch nicht romantisch. Ein Baby hat weiterhin schwierige Tage und Wochen. Es schläft immer noch nicht durch und bekommt Zähne. Es entwickelt sich und wächst. Und auch ein Kleinkind stolpert von einer Autonomiephase in die nächste.

Was ist denn nun anders? Ich bin als Frau nicht allein damit. Ich bekomme als Frau Zeit zu arbeiten – obwohl ich in Elternzeit bin – weil Philipp tagsüber da ist und er die Kinderbetreuung übernehmen kann. Wir haben kaum Termine und fühlen uns weniger gestresst: Entspannte Eltern, entspannte Kinder. Unser Leben ist vielfältiger und spontaner. Wir können unsere Tage nach unseren Bedürfnissen gestalten und haben trotzdem eine Struktur – Frühstück, Mittagessen, Mittagsschlaf, Abendessen. Wir können Merle und Anton nach unseren Vorstellungen in ihrer Entwicklung begleiten und fördern. Sie sehen die Welt und erleben Natur täglich.

Unser Vanlife-Alltag in Bildern

Was machen die Kids im Camper, wenn das Wetter schlecht ist?

Regensachen anziehen und rausgehen. Im Bus spielen: Puzzeln, Autos sortieren, mit Duplo bauen, Bücher anschauen, vorgelesen bekommen, mit den Magnetbuchstaben spielen, toben, turnen, rausgucken, essen, trinken, malen, basteln, kleben, schneiden, die frisch zusammen gelegte Wäsche auseinandernehmen, sich streiten, rangeln, Seile knoten…und wenn das Wetter mehrere Tage schlecht bleibt – so ein fieser Dauerregen eben – fahren wir weiter.

Vanlife bei Regen
Vanlife bei Regen

Womit spielen eure Kinder unterwegs?

Sie spielen mit dem was sie finden und mit den Dingen, die wir dabeihaben. Es kommt auch darauf an, was der Ort, an dem wir sind, hergibt. Gibt es zum Beispiel eine Rampe, würde Anton unsere Autos rausholen und diese die Rampe runterfahren lassen. Gibt es einen Weg ohne Hubbel, werden die Skateboards und das Puky rausgeholt. Und wenn es etwas zu sammeln gibt, fängt Anton an Steine, Blätter und Früchte in eine Schüssel zu legen, Haufen zu bauen oder auch alles direkt in den Camper Van zu schaffen. Merle macht das meistens nach. Und das Fahrrad ist inzwischen im Dauereinsatz, da die Qualität des Weges nicht mehr so wichtig ist für Anton. Er fährt überall: über Wiesen, über Sandwege, über Wurzeln… Oder sie spielen mit den Bällen, die wir mithaben. Oder auch Frisbee…  

Haben Kinder mehr Spaß, wenn man einen Campingplatz anfährt, oder können sie sich eher beim Freistehen so richtig entfalten?

Ich denke, das ist egal. Sie haben Spaß, wenn sie sich sicher fühlen, und das ist meisten abhängig davon, ob sich die Eltern wohl fühlen und entspannt sind. Viel wichtiger ist es, ob es in der Nähe noch etwas zu entdecken gibt wie zum Beispiel einen Fluss, einen Spielplatz, einen Strand, einen See, eine Stadt, einen Feldweg, einen Wald, ein Restaurant, welches das Lieblingsessen der Kinder serviert.

Vanlife mit Familie

Was sind Vorteile für Kinder, wenn sie in einem Wohnmobil leben?

  1. # 01 | Kinder sind viel draußen.

Der Schritt nach draußen ist viel kürzer. Sobald du die Tür vom Wohnmobil aufmachst, besonders dann, wenn du eine Schiebetür hast, fällst du fast raus. Und die Hürde den Schritt auch zu wagen ist niedriger. Das Vorhaben doch wenigstens einmal am Tag frische Luft geschnuppert zu haben fällt völlig weg. Nachdem Frühstück wollen Anton und Merle fast immer direkt raus.

 

  1. # 02 | Kinder erleben Natur. Jeden Tag. Ohne Aufwand.

Klar, dein Wohnort liegt vielleicht im grünen und ist umgeben von Wald, Seen und Flüssen. Aber wenn ich an unseren letzten Wohnort denke. Puuuh! Da fällt mir nur Asphaltwüste, endlose Hauswandreihen, Spielplätze, auf denen Jugendliche mit Joint und Bier rumlungern, und Gehzone – immerhin! – ein. Wenn wir mit dem Camper Van unterwegs sind, sehen, hören, fühlen und riechen wir Natur. Und fast alles landet im Wohnmobil – auch gesammelte Schnecken. Ja, wir sind der Natur viel näher, weil wir mittendrin sind und uns wieder als Teil von ihr verstehen.

    1. # 03 | Kinder lernen verschiedene Orte und Menschen kennen. Und schlafen dabei immer im gleichen Bett.

    Du hast bestimmt schon davon gehört, dass viele Ortswechsel einem Kind nicht guttun. Ja stimmt auch, wenn du von Hotel zu Hotel ziehst und das fast jeden Tag. Das macht auch uns Erwachsene ganz kirre. Mit Wohnmobil lässt sich dieses „Problem“ einfach lösen. Der Schlafplatz für ein Baby und Kleinkind ist der gleiche: das Bett im Wohnmobil mit den gleichen Kissen, den gleichen Kuscheltieren und den gleichen Decken, und dem gleichen dreckigen Bettlacken, weil mal wieder jemand mit Schuhen raufgeklettert ist oder den Sand vom Strand mitgebracht hat.

     

    1. # 04 | Kinder sind dem natürlichen Licht stärker ausgesetzt.

    Es gibt wenig künstliches Licht, weil sie viel mehr draußen sind.

    wie Vanlife funktioniert infografik

    Und was sind die Vorteile für Eltern?

    1. # 01 | Draußen sind Kinder einfacher zu beschäftigen bzw. beschäftigen sich einfacher von selbst.

    Es gibt bestimmte Spiele, mit denen können sich Kinder besonders lange und selbstständig beschäftigen. Dazu gehören das Spiel mit Wasser, das Spiel mit Sand, das Spiel Steine-in-den-Fluss-werfen. Für mich ist es auch einfach wenn wir die Gegend erkunden: Anton fährt Fahrrad und ich laufe mit Merle oder trage sie. Oder wenn es einen See, einen Pool oder ein ruhiges Meer gibt, gehe ich mit Anton, der sich mit seinen Schwimmflügeln allein über Wasser halten kann, schwimmen. Merle kommt mit, wenn sie möchte.

     

    1. # 02 | Wir lernen Gleichgesinnte kennen.

    Auf der ersten Reise durch Südosteuropa, Georgien, Armenien und Iran war das eher nicht der Fall und auch noch nicht so notwendig. Auch auf dem Trip durch Italien haben wir nur wenige getroffen, die im Wohnmobil leben oder als Familie unterwegs sind. Die waren wohl zu dem Zeitpunkt alle in Griechenland. Aber jetzt in Portugal ist das anders: Wir befinden uns im Mekka der Aussteiger:innen und der Landsuchenden.

     

    1. # 03 | Wir haben Zeit mit unseren Kindern.

    Den gaaanzen verfluchten Tag. Nein, es ist sehr schön. Und ab und zu auch ätzend. Aber insgesamt sind wir sehr froh darüber, dass wir sie viel sehen, sie viele Stunden des Tages begleiten dürfen, sie erleben, viel davon mitbekommen was sie treiben, sie lachen hören, sehen wie sie teilen und wie sie das auch nicht machen.

      Was nervt uns als Erwachsene?

      1. # 01 | viele Ortwechsel hintereinander

      Ja, viele Ortwechsel bedeutet viel Auto fahren und das ist einfach nur anstrengend. Wir finden es nervig, wenn wir innerhalb einer Woche mehrmals den Ort gewechselt haben, weil wir uns ständig neu zu recht finden müssen: Wo ist der nächste Supermarkt? Gibt es hier vielleicht einen Spielplatz? Ankommen braucht Zeit. Nur mit Anton – als er noch ein Baby war – habe ich das weniger stark wahrgenommen aber nun mit Baby und Kleinkind, wirken sich häufige Ortswechsel negativ auf die Gesamtstimmung aus. Wir arbeiten aber auch. Das war in der Elternzeit mit Anton nicht so.

       

      1. # 02 | Schlechtes Wetter

      Einen Dauerregentag verkraften wir. Mehr wird schon schwieriger. Regengüsse, die sich über den Tag verteilen – anfangen und wieder aufhören – halten wir auch länger aus. Da sich das Leben viel stärker draußen abspielt, sind wir natürlich dem Wetter ausgesetzt. Der kleine Raum wird auch mir irgendwann zu eng. Und bei viel Regen werden die Sachen auch nicht mehr trocken. Da liegen die Nerven doch irgendwann Planck. Auch der matsch und Dreck, der mit hineingetragen wird, nervt sobald die allgemeine Toleranzkurve am Tagesende runtergeht.

       

      1. # 03 | Ungeeignete Orte

      Meistens stören sich ja die Eltern an den Bedingungen eines Standorts und weniger die Kinder. Mich stört zum Beispiel, wenn es sehr staubig ist und es kaum Schatten gibt und ich der prallen heißen Sonne ausgesetzt bin. Wenn das der Fall ist, brauche ich länger, um klarzukommen. Es ist anders, wenn wir an einem Ort mit Bäumen und grüner Wiese sind. Vermüllte Standorte sind auch ein absolutes no-go, da die kleinen Kinderhände fast alles anfassen und an grabbeln. Und bei Merle ist die Chance, dass etwas Müll in ihrem Mund landet, noch recht hoch.

       

      1. # 04 | Kontakt mit der Polizei

      Ja, das finden wir meistens blöd, weil es selten angenehm verläuft. Es gibt auch Ausnahmen. In Georgien war selbst die Polizei gastfreundlich: „Here is my number. Call me if you have any problem! You can stay here. It is no problem.“, hatte der Polizist am Mt. Ushba in Svaneti zu uns gesagt. Wow! Das wäre in Europa fast unvorstellbar. In europäischen Ländern war der Ton der Polizist:innen recht aggressiv. Wir stehen gerne wild aber in Ländern wie Slowenien, Kroatien – in diesen beiden Ländern wurden wir mehrfach des Platzes verwiesen und haben Strafe gezahlt – und seit diesem Jahr auch Portugal, besonders an der Algarve, verkneifen wir uns das Freistehen.

        So geschafft. Das wars jetzt aber auch. Wenn du fragen hast,melde dich bei uns.